Wörter gibt es, die dürfte es eigentlich gar nicht geben. So fragt man sich beim Partizip »vorwiegend« und dem zugrunde liegenden Verb »vorwiegen« schon, was das eigentlich genau bedeuten soll.
Die Lösung ist simpel: Bei »vorwiegen[d]« handelt es sich um eine sogenannte Kontamination – eine Vermischung – aus »vorherrschen[d]« und »überwiegen[d]«. Solche Kontaminationen sind in der deutschen Sprache gar nicht so selten: etwa, wenn wir in Verquickung von anrufen und telefonieren jemanden »antelefonieren« oder aus Baulichkeiten und Gebäuden die »Gebäulichkeiten« konstruieren. Aus mindestens und zumindest basteln wir »zumindestens« und aus besonders und insbesondere wird »insbesonders«.
Während die obengenannten Beispiele jedoch als standardsprachlich nicht korrekt gelten, hat sich »vorwiegend« verfestigt. Es gilt als standardsprachlich und wird heute weitgehend synonym zu »überwiegend« verwendet.
Einen Unterschied gibt es allerdings: Während man »überwiegend« auch adjektivisch verwenden kann, ist bei »vorwiegend« nur der adverbielle Gebrauch üblich. Man kann also von einer »überwiegenden Mehrheit« sprechen, aber nicht von einer »vorwiegenden Mehrheit«. Manche wittern hier übrigens einen Pleonasmus und wenden ein, dass eine Mehrheit doch per definitionem überwiegt. Jedoch wird mit der »überwiegenden Mehrheit« deutlich gemacht, dass es sich um eine sehr deutliche und nicht etwa nur um eine knappe Mehrheit handelt.
1 Alexa v. Reden
Aber wer von der „überwiegenden Mehrheit“ spricht, der spricht vom weißen Schimmel. Wenn die Mehrheit nicht überwiegt, also mehr als 50% ist, ist es keine Mehrheit mehr.... ;-)
2 Julian von Heyl
Du hast den Artikel aber schon zu Ende gelesen, oder?
3 Alexa v. Reden
Öhm, ja... Ooops ;-)
4 Robin
Es gibt "was das betrifft/angeht/anbelangt", aber kein "anbetrifft". Schlimmste Kontamination überhaupt.
5 Christian
Liebe Alexa, kein weißer Schimmel.
Wenn von "Mehrheit" die Rede ist, dann ist damit der unspezifizierte Bereich von einer Winzigkeit mehr als 50% bis fast an 100% heran gemeint.
Durch Zusatz von "überwiegend" wird dieser Bereich eingeschränkt, und damit zum Ausdruck gebracht, daß er von 50% + einer Winzigkeit einen deutlichen Abstand hat.
6 Christian II.
"Vorwiegend" nur adverbiell? Hm, kommt wohl auf den Kontext an. Von einer "vorwiegenden Mehrheit" würde zugegebenermaßen keiner reden, aber wie wäre es z.B. mit "das ist im Süddeutschen der vorwiegende Sprachgebrauch"? Mein Sprachgefühl würde da jedenfalls keinen Würgereiz bekommen. (Natürlich sollte es besser "der vorherrschende Sprachgebrauch" heißen, aber eben deshalb ist es ja nunmal eine Kontamination, wie oberhalb ausgeführt...)
Das Wort (wie es seltsamerweise auch der Duden tut) einfach als nur-Adverb zu definieren, geht wohl schon aus systematischen Gründen nicht - schließlich gibt es zweifelsfrei das Verb "vorwiegen", und dessen Partizip Präsens ganz "legal" adjektivisch zu benutzen, wie es beim Partizip Präsens üblich ist, kann man ja keinem verwehren, nicht?
7 algoviano
@Christian II: Also ich denke, dass das Verb "vorwiegen" im Sinne von "überwiegen" zweifelsfrei nicht existiert, nicht mal im Süddeutschen ;-) Jedenfalls könnte ich nicht ohne Magenschmerzen "dieser Sprachgebrauch wiegt vor" sagen ... und von "vorwiegen" im Sinne von "im Voraus wiegen" oder "das Wiegen vormachen" ist hier ja nicht die Rede. Daher ist der "vorwiegende Sprachgebrauch" allenfalls als weiter ausufernde und illegale Kontamination und nicht als legales Partizip Präsens zu erklären.
8 Rico
@algoviano
Wobei ich allerdings bei "dieser Sprachgebrauch wiegt über" aber auch heftige Magenschmerzen bekäme.
9 Manuel der Hobbypinguin
@Rico
Das will ich doch auch hoffen. Der Logik folgend müsste man sonst auch...
"Er lebt über."
...anstatt...
"Er überlebt."
...sagen.
Beim Präfix "über-" gibt es sowohl trennbare Verben (z.B. überlaufen) als auch nicht-trennbare (z.B. überleben). "überwiegen" ist nicht-trennbar.