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Re: Welche Konjunktivform?
Autor:Jesse
Datum: Di, 07.03.2017, 18:03
Antwort auf: Re: Welche Konjunktivform? (Bobo)

> Aber gehört nicht nach einleitenden Konstruktionen wie "ich
> dachte" oder "ich hoffte" der Konjunktiv II?

Nein. "Ich dachte" gibt lediglich einen Gedanken wieder. Diesen Gedanken hatte ich, ganz real. Es gibt hier zunächst keinen Grund für den Irrealis. Wenn das einleitende Denken etwas indiziert, dann den Konjunktiv I. Es gibt ein innere Abhängigkeit zwischen dem formulierten Gedanken und dem einleitenden Denken. Deshalb steht dort klassisch der Konjunktiv I. (Der Indikativ ist aber heute auch üblich, wenn nicht der Gedanke als solches zitiert werden soll, sondern nur der Inhalt des Gedankens wiedergegeben werden soll.) Er dachte, er sei am Ziel. Es wird hier zunächst keine Aussage darüber getroffen, ob er tatsächlich am Ziel ist. Es wird einfach nur das wiedergegeben, was er dachte.

Das gilt grundsätzlich auch für "ich dachte". Da kommt es aber auf den Kontext an. In einem in der Ich-Perspektive verfassten Roman, wo man häufiger mal auf ein "ich dachte" trifft, wird normalerweise heutzutage kein Konjunktiv I an dieser Stelle verwendet, da kein Auszeichnungsbedarf für die innerliche Abhängigkeit zur Gedankenwelt des Ich-Erzählers besteht. Das ist aber ein weites Feld. Wenn es dich interessiert, kann ich gerne noch mehr dazu schreiben. An der Stelle will ich es aber dabei belassen.

Zurück zum Konjunktiv II. Der kann durchaus mit einem Denken verknüpft sein. Es wird nur nicht durch das Denken indiziert. Das Denken unterscheidet sich insofern nicht vom Sagen. Aber das Gedachte kann natürlich irreal sein. Dann steht der Konjunktiv II. Das hat aber mit dem Denken nichts zu tun. Es gibt zwei Möglichkeiten. Er sah, dass ich überlegte, ob ich ihn darum bitten konnte. Ich tat es nicht und ging. Er dachte, er hätte es gemacht. / Er dachte: "Ich hätte es gemacht." Der Gedanke selbst ist irreal (hätte ich gefragt, hätte er es gemacht, aber ich habe nicht gefragt). Die Fälle erkennt man daran, dass auch der in direkter Rede wiedergegebene Gedanke im Konjunktiv stünde.

Die zweite Möglichkeit ist, dass der Gedanke erst aus der Wiedergabeperspektive irreal ist. Er dachte, er wäre am Ziel. Doch in Wirklichkeit hatte er erst die Hälfte des Weges hinter sich. Der Konjunktiv ist auktorial. Der Autor (bzw. derjenige, der den Gedanken wiedergibt) bewertet den Gedanken im Nachhinein als irreal. Wir lösen uns dabei maximal von dem einleitenden Denken. Hier kommen gleichzeitig zwei Personen zu Wort: derjenige, der den Gedanken hatte, und derjenige, der den Gedanken wiedergibt. Und beide sagen gleichzeitig etwas anderes. Das ist grundsätzlich möglich, aber da muss man stilistisch ungemein aufpassen und im Zweifelsfall sollte man lieber die Finger davon lassen. In einem Roman mit ausschließlich personaler Erzählperspektive etwa ist das auf der Ebene der Erzählzeit unzulässig.

Es ist insgesamt sehr kompliziert. Dein Beispielssatz verkompliziert es zusätzlich, macht es paradoxerweise dadurch aber auch einfacher. Dein Gedanke ist: "Vielleicht weiß er es." Das ist ein zusätzlicher Modus, der Potentialis. Man kann auch sagen: Möglichkeitsform. Der Begriff ist aber vielleicht etwas verwirrend, da teilweise auch der Konjunktiv II fälschlicherweise als Möglichkeitsform bezeichnet wird. Man muss aber scharf trennen. Irrealis: Er wüsste es. Potentialis: Vielleicht weiß er es. Diese beiden Modi passen nicht zusammen. Der Irrealis drückt aus, dass etwas nicht real ist. Der Potentialis drückt aus, dass etwas (real) möglich ist. Etwas kann nicht gleichzeitig irreal und real möglich sein. Deswegen kann es in dieser Bedeutung nicht heißen "vielleicht wüsste er es." Das bedeutet etwas anderes, nämlich: In einer irrealen Situation (also z.B.: wenn ich ihn denn fragen würde) wüsste (Irrealis) er es vielleicht (Potentialis). Das sind zwei Ebenen. Der Irrealis ist die Voraussetzung, der Potentials die Voraussetzung. Auf gleicher Ebene dürfen die beiden nicht zusammentreffen.

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