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Re: Welche Konjunktivform?
Autor:Jesse
Datum: Do, 09.03.2017, 19:34
Antwort auf: Re: Welche Konjunktivform? (Bobo)

Normalerweise steht da kein Konjunktiv, ja. Das ist aber nur eine generelle Aussage. Du wirst keine Probleme haben, einen solchen Satz mit Konjunktiv in einem (guten) Roman zu finden. Es kommt auf den Einzelfall an. Ich will die drei wichtigsten Faktoren darstellen, warum du normalerweise keinen Konjunktiv finden wirst: die Erzählzeit, der Auszeichnungsbedarf und die Zitatfunktion des Konjunktivs I.

1. Erzählzeit

Die meisten Romane haben eine klare Erzählzeit. Die Erzählung beginnt im Präteritum und endet im Präteritum. Alles, was im Roman passiert, spielt sich vor den Augen des Lesers ab, während es vom Erzähler erzählt wird. Das Präteritum im Roman ist deswegen regelmäßig keine Form der Vergangenheit, sondern die Gegenwart der Erzählung. Wenn im Roman steht "ich ging ins Haus" stünde da in einem nicht-literarischen Text "ich gehe in Haus". Wenn da also "ich dachte" steht, ist das eigentlich ein "ich denke". Beim Denken in der Gegenwart ist der Konjunktiv unüblich. (Ich bin schon müde. Ich denke, ich ginge schlafen.) Das für sich ist noch nicht allein entscheidend, spielt aber bei den folgenden Überlegungen noch eine Rolle.
Außerdem handelt es sich um eine erlebte Erzählzeit. Der Erzähler erlebt das Erzählte zusammen mit dem Leser während der Erzählung. Er verschmilzt mit dem Protagonisten, der die Geschichte erlebt.

2. Auszeichnungsbedarf

Der Konjunktiv I hat eine Auszeichnungsfunktion. Im Hauptfall der indirekten Rede ist das am offensichtlichsten. Der Konjunktiv I ist in der indirekten Rede das, was die Anführungszeichen in der direkten Rede sind.

Ich sagte: "Mir ist langweilig." Danach ging ich.
Ich sagte, mir sei langweilig. Danach ging ich.
Ich sagte: "Mir ist langweilig. Danach gehe ich."
Ich sagte, mir sei langweilig. Danach würde ich gehen.

Alles, was in Anführungszeichen steht, ist das, was gesagt wurde. In der indirekte Rede ist es alles, was im Konjunktiv steht. Das ist die Funktion des Konjunktivs I. Man sieht im vierten Beispiel: Da muss der Konjunktiv stehen. Im zweiten Beispiel steht er nicht, mit der Folge, dass ich nicht mehr nur sage, dass ich gehe, sondern tatsächlich gehe. Wenn ich es nur sagen will, dann ist das auszeichnungsbedürftig. Man wechselt von der Ebene der Erzählung zu einer anderen Ebene, die innerlich abhängig von etwas anderem ist, z.B. etwas das gesagt wurde. In der direkte Rede hört die Erzählstimme dort auf, wo die Anführungszeichen beginnen, und lässt einen anderen zu Wort kommen.

Er dachte, er sei hier richtig. Er sei der Karte genau gefolgt.
Er dachte, er sei hier richtig. Er war der Karte genau gefolgt. ...

Ich dachte, ich sei hier richtig. Ich sei der Karte genau gefolgt. ...
Ich dachte, ich sei hier richtig. Ich war der Karte genau gefolgt. ...
Ich dachte, ich war hier richtig. Ich war der Karte genau gefolgt. ...

... Warum war es nicht der richtige Ort? Erst als er/ich die Karte genau prüfte, erkannte er/ich, dass er/ich eine kleine Markierung in der linken Ecke übersehen hatte.

Der zweite Satz ist in den ersten beiden Beispielen auszeichnungsbedürftig. Im ersten Beispiel denkt er es. Im zweiten Beispiel ist es eine Information des Erzählers, dass er tatsächlich der Karte genau gefolgt ist. Danach geht es mit der normalen Erzählung weiter. Diesen Bruch gibt es in der ersten Person nicht. Da kommt die erlebte Erzählzeit ins Spiel. Wenn der Erzähler erzählt "ich war der Karte genau gefolgt", dann ist das gleichzeitig der Gedanke des Erzählers während des Erlebens und während des Erzählens. Durch das Zusammentreffen gibt es keinen Auszeichnungsbedarf. Im Beispiel folgt die erlebte Rede: "Warum war ich nicht am richtigen Ort?" Hier gibt es keinen Grund für einen Ebenenwechsel. Es ist der Erzähler, der diese Frage stellt. Es ist der gleiche Erzähler, der in seiner erlebten Gegenwart vorher denkt, er sei der Karte genau gefolgt. Es gibt keinen Grund gerade dort das Anführungszeichen zuzumachen.

Pauschaler ausgedrückt: Alles vom ersten Wort auf der ersten Seite bis zum letzten Wort auf Seite 300 ist die Gedankenwelt des Erzählers, während er die Geschichte zusammen mit dem Leser erlebt. Wenn alles die erlebte Gedankenwelt des Erzählers ist, gibt es keinen Grund einen seiner Gedanken während des Erlebens gesondert auszuzeichnen. Alles ist abhängig von den Gedanken des Erzählers. Es gibt keinen Ebenenwechsel. Das ist der Hauptgrund, warum man keinen Konjunktiv verwendet.

Exkurs: Auszeichnungen und Dichtersprache und warum "ich dachte" vielleicht doch für den Konjunktiv sprechen könnte.

Ich nehme mal dein erstes Beispiel und setze es in eine triviale Szene:

Er trug eine schwarze Hose und ein grünes Hemd. Er fragte mich, ob mir sein Outfit gefalle. Ich dachte mir, dass diese Hose viel zu eng geschnitten sei. Ich fragte mich, ob ich es ihm sagen solle. Ich tat es nicht. Er sah mich mit einem hoffnungsvollen Grinsen an und ich hätte ihn wohl verletzt, wenn ich es ihm gesagt hätte.

Da ist alles genau und unmissverständlich ausgezeichnet. Erst fragt er mich, dann denke ich mir etwas, dann frage ich mich etwas, dann tue ich etwas und dann gibt es noch einen alternatives Szenario, das ich darlege. Das ist soweit okay, ist aber noch keine Dichtersprache, denn es ist noch nicht verdichtet. Eine alte Weisheit unter Autoren ist: Was einen Roman gut macht, ist nicht das, was man schreibt, sondern das, was man weglässt. Und beinahe alle Auszeichnungen in diesem Beispiel kann man auch weglassen.

Er trug eine schwarze Hose und ein grünes Hemd. Er fragte mich, ob mir sein Outfit gefalle. Die Hose war viel zu eng geschnitten. Sollte ich es ihm sagen? Ich tat es nicht. Er sah mich mit einem hoffnungsvollen Grinsen an und ich hätte ihn wohl verletzt.

Man sieht hier die klare Auszeichnungsfunktion des Konjunktivs. Es ist nicht nötig "ich dachte, ich sei" zu schreiben, um klarzumachen, dass jetzt ich denke. Dadurch, dass der Konjunktiv endet, ist klar, dass nicht mehr er fragt. (Sonst hieße es: Die Hose sei viel zu eng geschnitten.) Der Indiativ genügt, um anzuzeigen, dass wir jetzt wieder in der Gedankenwelt des Erzählers sind. Der Gedanke kann für sich stehen. Ebenfalls die Frage die danach steht. Keine Anführungszeichen, es ist eine innerliche Frage des Erzählers. "Ich fragte mich" ist überflüssig. Und am Ende schließlich der Konjuntkiv II, der wiederum das Szenario "wenn ich es ihm gesägt hätte" nicht braucht, weil er für sich anzeigt, dass es um etwas Irreales geht. Das Szenario ergibt sich dann aus dem Kontext. Nachdem die Dichtersprache alles weglässt, was unnötig ist, gilt das auch für viele Auszeichnungen, darunter die Auszeichnungen mit Konjunktiv I bei "ich dachte", wenn ohnehin alles Unausgezeichnete die Gedankenwelt des Erzählers ist.

Schließlich die Pointe: Ich habe auch das "ich dachte" weggelassen. Wenn ich sage, normalerweise steht im Roman "ich dachte" nicht mit dem Konjunktiv, hat das noch einen kleinen Haken. Denn aus den gleichen Gründen steht in einem gut verdichteten Roman normalerweise auch gar nicht erst "ich dachte". Deswegen muss man sich im Einzelfall fragen: Warum steht es da und warum hat es der Autor nicht einfach weggelassen? Da kann es sein, dass damit ausnahmsweise doch ein Ebenenwechsel erzielt werden soll. Der mit "ich dachte" eingeleitete Gedanke soll von den ganzen um ihm herumstehenden, nicht ausgezeichneten Gedanken des Erzählers abgegrenzt werden. In diesem Ausnahmefall ist dann auch der Konkunktiv korrekt. Denn jetzt gibt es den Ebenenwechsel wieder. Aber das sind wirklich Ausnahmefälle. Wenn man ein "ich dachte" im Roman findet, ist das deutlich häufiger einfach aus irgendeinem Grund nicht weiter verdichtet oder aber folgender Fall, bei dem es genau umgekehrt ist. Gerade weil das "ich dachte" dabei steht, folgt kein Konjunktiv.

3. Die Zitatfunktion des Konjunktivs

Wie gesagt ist die Funktion des Konjunktivs I in der indirekten Rede mit der der Anführungszeichen in der direkten Rede vergleichbar. Ich dachte, ich sei erschöpft. Ich dachte: "Ich bin erschöpft." In der indirekten Rede muss anders als in der direkten Rede nicht Wort für Wort exakt wiedergegeben werden. Aber dennoch wird wiedergegeben und zitiert. Das ist der Hintergrund, warum denken mit Konjunktiv und mit Indikativ verwendet wird. Beispiel: "Ich dachte, Spinnen hätten wahnsinnige Größenunterschiede." Das entspräche: "Ich dachte: 'Spinnen haben wahnsinnige Größenunterschiede.'" (Im normalen Romantext auch ohne "ich dachte".) Hier wird also ein Gedanke zitiert. Das ist aber kein Gedanke, der einem plötzlich durch den Kopf schießt. Mensch, Spinnen haben wahnsinnige Größenunterschiede. Tatsächlich denkt man aus irgendeinem Grund an Spinnen, z.B. weil man eine Spinne sieht. Dann stellt man fest, die ist ja winzig. Dann denkt man an die Winkelspinne im Keller und schließlich an Taranteln und kommt dann irgendwann, nachdem man über unterschiedliche Spinnen und deren Größe nachgedacht hat, zu der Erkenntnis: Da gibt es wahnsinnige Größenunterschiede.

Was wiedergegeben werden soll, ist aber nicht diese abschließende Erkenntnis für sich, sondern letztlich die ganzen Gedanken mit, die zu diesem abschließenden führen. Zitiert man nun nur diesen abschließenden Gedanken wirkt es so, als wäre das ein spontaner Gedanke gewesen, der für sich steht und der einem plötzlich in den Sinn kam. Was eigentlich gesagt werden soll ist: Ich dachte über Spinnen nach und stellte dabei fest, dass es wahnsinnige Größenunterschiede gibt.

Man muss also unterscheiden, ob ein Gedanke als solcher zitiert werden soll – das impliziert der Konjunktiv – oder ob der Inhalt wiedergegeben werden soll, ohne einen konkreten einzelnen Gedanken dabei zu zitieren. Das gleiche wie bei "er sagte ja". Da stehen keine Anführungszeichen beim "ja". Er muss nicht wörtlich "ja" gesagt haben, es kann sich auch um eine längere zustimmende Ausführung gehandelt haben. Genauso kann "ich dachte" zusammen mit dem Indikativ den Inhalt des Gedankens wiedergeben, während es mit dem Konjunktiv den Gedanken als solches zitiert. Und in dieser Funktion findet man dann häufig die Auszeichnung "ich dachte" auch in einem Roman. Der Erzähler gibt nicht seinen gesamten Denkprozess wieder, sondern nur das Ergebnis. Deswegen steht dann dort "ich dachte". "Ich dachte, ich war hier richtig". Wenn ich hier wirklich nur "ich bin hier richtig" dachte, dann wäre das "ich dachte" überflüssig. Ich könnte einfach normal im Text schreiben: "Ich war hier richtig". Eine Auszeichnung als Gedanke ist nicht nötig. "Ich dachte, ich war hier richtig" impliziert dagegen, dass das kein einzelner Gedanke ist, der zitiert werden soll (womit dann dort auch der Konjunktiv stünde). Was ich dachte, war ausgeschrieben: "Mein GPS zeigte die richtige Koordinaten. Da stand auch ein großes Haus. Mein Ziel sollte ein großes Haus sein. Ich war hier also richtig." In der Regel ist es sinnvoll, den Leser an einem solchen Gedankenprozess voll teilhaben zu lassen. In einigen Fällen ist es aber trivial oder unwichtig und daher sinnvoll es abzukürzen und einfach nur den Inhalt oder das Ergebnis wiederzugeben. Dann kann ich schreiben: "Ich dachte, ich war hier richtig." Gerade weil das "ich dachte" da steht, folgt kein Konjunktiv, weil kein konkreter Gedanke zitiert wird.

Der Konjunktiv II als auktorialer Konjunktiv

Zum Abschluss noch einmal kurz zu meiner Aussage aus meinem ersten Beitrag, dass der Konjunktiv II (in seiner Funktion zur Auszeichnung des Irrealis) in einem Roman mit Ich-Erzähler bei "ich dachte" oder in einem Roman mit personalem Erzähler bei "er dachte" niemals stehen darf. Das ist das Beispiel: "Ich/Er dachte, ich/er wäre hier richtig." Das findet man nur in einem schlechten Roman. Hier passieren zwei Sachen gleichzeitig. Der Gedanke wird zitiert und der Gedanke wird als irreal ausgezeichnet. So etwas kann nur ein auktorialer Erzähler tun. Er gibt den Gedanken wieder und bewertet ihn als irreal, weil er es besser weiß als der Protagonist. Der Ich-Erzähler in der erlebten Erzählzeit weiß es aber zu diesem Zeitpunkt nicht besser. Das gleiche gilt für den personalen Erzähler, der nur den Horizont seiner Reflektorfigur hat. Er hat nur diesen realen Gedanken zum Zeitpunkt der erlebten Erzählung. Er darf nicht vorweggreifen, dass er sich irrt. Solche Vorausgriffe, die die Erzählperspektive verletzen, sind schlechter Stil. "Es sollte sich noch herausstellen, dass ich mich irrte." "Das sollte ich noch bereuen." Etc. Genauso ist es mit "ich dachte, ich wäre hier richtig." Wenn der Erzähler das im Moment der erlebten Erzählung so real denkt, dann kann er nicht zu diesem Zeitpunkt bereits wissen, dass es irreal ist. Sonst würde er es ja nicht denken. Dass er sich irrt, wird er erst später zusammen mit dem Leser erfahren.

Etwas anderes gilt nur, wenn die Erzählzeit eben nicht die erlebte Erzählzeit, die eigentliche Gegenwart, ist, die im Präteritum steht, sondern tatsächlich Vergangenheit. Also z.B. wenn wir einen Erzähler haben, der sich zunächst in der Gegenwart (meistens im Präsens) an den Leser wendet und dann erst beginnt seine Geschichte als Rückblende zu erzählen. Dieser Erzähler kann in der Geschichte vorausgreifen. Ein solcher auktorialer Konjunktiv wäre dann möglich. Stilistisch sollte man dennoch sparsam damit umgehen, weil der Leser jedes Mal, wenn sich der Erzähler der Gegenwart zu Wort meldet, aus der erlebten Erzählung gerissen wird, die damit wieder als Vergangenheit sichtbar wird. Das sollte man als Autor vermeiden, aber grundsätzlich ist es hier möglich.

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