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Re: Ellipsen: Aktiv-Passiv-Kongruenz?
Autor:Stephan
Datum: Sa, 12.01.2019, 01:30

Vielen Dank, Pumene! Lediglich die Conclusio ist nicht überzeugend, dass nämlich aus dem Vorhergehenden, dem ich zustimme, folgen würde, dass keine konkurrierende Ellipse, die einer anderen (falschen) Lesart entspricht, den Satz unverständlich machen könnte. Denn durch diese falsche Lesart könnte das Erkennen der ersten Ellipse verunmöglicht werden.

Das Missverständnis liegt vielleicht darin, dass Du und Vollprofi meint, ich würde von Anfang an zwei Ellipsen annehmen, die parallel existieren könnten (also etwa wie hier: "Sprache. Wie sie produziert und angewendet wird."). Davon sprach ich aber nicht. Ich sprach von zwei Lesarten, wobei diese Differenzierung dadurch entstehen kann, dass der Leser zunächst versuchen wird, eine Ellipse zu erkennen, deren Elemente grammatisch kongruent sind. Dabei kann er versuchen, nach zwei aktiven oder zwei passiven Elementen zu suchen, die er hier eben beide nicht findet.

Das erste Suchmuster (beide Elemente im Aktiv) entspräche diesem:

"Sprache. Wie sie entsteht und wirkt."

Der vollständige Satz ohne Ellipse lässt sich hier leicht erraten:

"Sprache. Wie sie entsteht und wie sie wirkt."

Das zweite Suchmuster (beide Elemente im Passiv) entspräche diesem:

"Sprache. Wie sie produziert wird und angewendet wird."

Der vollständige Satz ohne Ellipse würde hier lauten:

"Sprache. Wie sie produziert wird und wie sie angewendet wird."

Bei folgendem Satz kollidieren diese beiden Muster nun (weil Aktiv auf Passiv trifft):

"Sprache. Wie sie entsteht und angewendet wird."

Der Muttersprachler bzw. Sprachgeübte wird natürlich hier schnell erkennen, dass "entsteht" nicht mit "wird" zu einer Passivkonstruktion zusammengefasst werden kann und daher keine zweite Parallelellipse möglich ist. Dadurch erkennt er die erste (korrekte) Ellipse und kann sie auflösen, obwohl keine Kongruenz besteht.

Der weniger Sprachgeübte ist aber möglicherweise verwirrt, weil er "angewendet wird" als Passiv erkennt und daher nach einem zweiten Passiv Ausschau hält, das er nicht findet, weshalb er eine weitere Ellipse annehmen könnte.

Die ganzen Regeln bzgl. semantischer Kongruenz existieren ja deshalb, damit der Empfänger nicht zu lange überlegen muss, sondern die Satzstruktur sofort versteht und daher korrekt vervollständigen kann. Ellipsen müssen also eindeutig sein, und zwar nicht erst als Ergebnis einer mehrstufigen semantischen Rechenoperation.

Die falsche Lesart fällt am Schluss als Ergebnis einer Ausschlussdiagnose natürlich weg, weshalb letztlich keine zweite Ellipse möglich ist. Dass solche Überlegungen aber überhaupt nötig (oder zumindest möglich) sind, würde dafür sprechen, dass auch die erste Ellipse nicht ganz "korrekt" ist (was auch immer das genau bedeutet). Und als Grundregel käme in diesem Fall dann jene der grammatischen Kongruenz zur Anwendung, welche eben hier nicht erfüllt ist.

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