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Re: Gendern mit *
Autor:Paul Pfeffer
Datum: Sa, 06.04.2019, 18:45
Antwort auf: Gendern mit * (Tina)

Tipp: Lasst das Gendern gleich ganz sein. Warum? Darum:

Taugt „Gendergerechte Sprache“ als Mittel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit?

Akteure:
- Feministische Sprachwissenschaftlerinnen der 70er Jahre (Pusch, Trömel-Plötz) (Bitte googeln) und ihre Nachfolgerinnen
- „Gender mainstreaming“ seit den 80er Jahren (Butler) (Bitte googeln),
- fest angestellte Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Universitäten, Parteien, Schulen, Behörden, Gewerkschaften, Medien, Institutionen seit den 90er Jahren; fast 200 Gender-Professuren im deutschsprachigen Raum (Bitte googeln)

Befund:
Deutsch ist eine „Männersprache“ (L. Pusch) und soll zu einer „Frauensprache“ (S. Trömel-Plötz) umgeformt werden.

Ziel:
Geschlechtergerechtigkeit, Förderung der Frauen, Zurückdrängen der „Männerlastigkeit“ der Sprache, „Sichtbarmachen“ der Frauen in der Sprache

Mittel:
Anleitungen zum „richtigen Gendern“, Sprech- und Schreibvorschriften vor allem in Parteien (z. B. die Grünen), Universitäten, Behörden, Parteien, Gewerkschaften, Institutionen, Medien

Das Gendern der Sprache ist aus folgenden Gründen problematisch:

- Gendern verkennt den Unterschied zwischen grammatischem „Geschlecht“ (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus)

Genus Sexus
maskulinum femininum neutrum männlich weiblich (div.)

der Baum die Blüte das Blatt der Mann die Frau ?
der Tisch die Vase das Hemd die Männer der Frau ?
der Storch die Amsel das Pferd der Herr die Herrin ?
der Mensch die Person das Leben das Männchen das Weibchen ?
der Mond die Sonne das Weltall das Jüngelchen das Mädchen ?
der Tod die Geburt das Ende das Männlein das Weiblein ?
der Sex die Sexualität das Bett der Star der Star ?
der Zaster die Münze das Geld der Stier die Kuh ?
der BH die Polizei das Alibi der Mensch (m/w)

Was wird hier sichtbar? Die grammatischen „Geschlechter“ (Genus, pl. Genera) sind nicht „logisch“, sondern historisch gewachsen, sie sind sprachliche Übereinkünfte.
Genus und Sexus haben nur in wenigen Fällen direkt miteinander zu tun, zum Beispiel dann, wenn Lebewesen allgemein oder Menschen und ihre Funktionen/Tätigkeiten/Berufe bezeichnet werden. Die meisten Nomen stehen im Deutschen übrigens im generischen Femininum, weil alle Abstrakta auf die Endungen -ung, -heit, -keit, -schaft, -tum, -lichkeit, -ligkeit „weiblich“ sind (z. B. die Mannschaft). Nomen mit der Endung -ismus sind dagegen alle „männlich“ (z. B. der Feminismus). Verkleinerungsformen (Diminutive) sind alle „sächlich“ (z. B. das Männchen).

Hauptthese: Die aktuell geltenden Formen der Sprache reichen aus, um hinreichend zu differenzieren und auch die Frauen „sichtbar zu machen“:

einzelne Personen: mehrere Personen unbestimmte Menge, anonym, beiderlei Geschlechts unbestimmtes Geschlecht
gezielte Ansprache: gezielte Ansprache:
der Wähler (m) die Wähler (m) und /oder

die Wählerinnen (f) die Wähler, (der) Wähler (neutral)
die Wählerin (f) in der Anrede: Sexus spielt keine Rolle (!),

Liebe Wählerinnen und

Wähler

Wo ist hier das Problem? Der Zankapfel ist das generische Maskulinum. Die feministischen Sprachwissenschaftlerinnen und die Gender-Ideologinnen behaupten, im generischen Maskulinum die Wähler, (der) Wähler würden die Frauen unsichtbar gemacht. Bei einem Ausdruck wie Wähler würden (ausschließlich) Männer assoziiert. Die Sprachfeministen wirken deshalb darauf hin, dass zukünftig von Wählenden gesprochen wird. In der substantivierten Partizipform seien alle Geschlechter angesprochen. Diese Sichtweise ist aber nur nachvollziehbar, wenn man die Gender-Brille auf der Nase hat. Sprachwissenschaftlich gesehen sind die generischen Pluralformen im Hinblick auf den Sexus neutral. Sie bezeichnen einfach nur Menschen, die wählen. In der geschriebenen, gegenderten Sprache sind mehrere Varianten im Umlauf:
Wähler(innen), Wähler/innen, WählerInnen, Wähler_innen, Wähler*innen, Wählx, Wählas.
Diese Schreibweisen sind streng genommen Verstöße gegen die deutsche Rechtschreibung. Ein Problem ist auch die Aussprache. Wie sollen z. B. der Gender-Stern, der Gender-Gap oder das x gesprochen werden?
Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die deutsche Sprache an einigen Stellen männerlastig ist. Dass bei Ausdrücken wie Ingenieur, Arzt, Experte fast immer Männer assoziiert werden, liegt jedoch nicht an Boshaftigkeit der Männer, sondern an den historisch entstandenen (aktuellen) Realitäten. Das wird sich erst dann ändern, wenn Frauen in nennenswerter Anzahl den Ingenieursberuf ergreifen. Bei Erzieher werden fast immer Frauen assoziiert. Auch das wird sich nur ändern, wenn mehr Männer sich für den Erzieherberuf entscheiden. Die Sprache wird sich dann über den Gebrauch ebenfalls ändern, falls die Sprecherinnen und Sprecher eine Änderung für nötig halten.

- Gendern sieht den Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken zu einfach

Die Gender-Ideologie unterstellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken. Deshalb kann überhaupt erst die Idee aufkommen, dass über feministische Sprachpolitik (Gendern) ein neues Denken (Geschlechtergerechtigkeit) gefördert werden könnte. Das stellt die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf.

Der Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken ist in Wahrheit wesentlich komplexer. Festzuhalten ist, dass neue Begriffe und Formen nicht durch Verordnung von oben entstehen, sondern auf Grund von Veränderungen in der gesellschaftilchen Realität. Das Internet als neue Technologie hat zum Beispiel in kurzer Zeit eine Menge neuer Begriffe hervorgebracht: googeln, downloaden, scannen, bloggen usw. Diese Begriffe werden wahrscheinlich in kurzer Zeit zu ganz selbstverständlichen Bestandteilen der deutschen Sprache.

Man darf erwarten, dass sich mit zunehmender Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch das Sprachverhalten verändert. Das ist bereits geschehen durch selbstverständliche Verwendung weiblicher und männlicher Formen (Wählerinnen und Wähler). Wie sich das in Zukunft entwickelt, ist schwer vorherzusehen. Problematisch sind auf jeden Fall ideologisch motivierte Eingriffe ins Sprachsystem.

- Gendern macht die deutsche Sprache hässlicher, komplizierter, für Deutsche schwerer lesbar und für Ausländer schwerer lernbar.

Ein Beispiel aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements:
"Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines/einer Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde."

Das ist zwar ein Extrembeispiel, zeigt aber sehr gut die Problematik. Ist dieser Text noch lesbar? Ist er für Menschen, die mit der deutschen Sprache Schwierigkeiten haben, noch verständlich? Worin besteht hier der Fortschritt für mehr Geschlechtergerechtigkeit?

- Gendern ist grammatisch zum Teil widersinnig

Am Studentenhaus der Frankurter Universität ist die alte Inschrift durch eine neue ersetzt worden. Das Studentenhaus heißt jetzt offiziell „Studierendenhaus“, weil sich im Begriff „Studenten“ angeblich nicht alle Geschlechter wiederfinden können. Das „Studentenwerk“ heißt neuerdings „Studierendenwerk“.

Die Umbenennung wirft jedoch nicht nur politische, sondern auch grammatische Fragen auf. Ist die Partizip-Form „Studierende“ bedeutungsgleich mit dem Nomen „Studenten“?

Was ist mit
Studentenkneipe Studierendenkneipe?
Studentenfutter Studierendenfutter?
Studentenwohnheim Studierendenwohnheim?

Wie sieht es mit der Verallgemeinerbarkeit dieser Neuregelung aus? (Endung -enten)
Dissidenten Dissidierende? Dezernenten Dezernierende?
Abonnenten Abonnierende?
Absolventen Absolvierende? Abschluss innehabende Person?

(Vorschlag aus einem Gender-Ratgeber)

Auch an den Tätigkeitsbezeichnungen haben sich die Sprachfeministen zu schaffen gemacht:
Das alte Wort „Lehrling“ ist schon lange durch „Auszubildender“ oder „Azubi“ ersetzt worden, weil alle Nomen mit der Endung -ling im generischen Maskulinum stehen und weil diese Endung nach Ansicht der Sprachveränderer eine Abwertung ausdrückt. Was ist aber mit
Säugling zu Säugender, Saugender?
Liebling zu Liebender?
Feigling ?

Auch alle Tätigkeits- und Berufsbezeichnungen mit der Endung -er stehen im generischen Maskulinum, Gendern führt zu seltsamen Gebilden:
Metzger Metzgende?
Fleischer Fleischende? Fleischverarbeitende?
Bäcker Backender
Fahrradfahrer Fahrradfahrende „Der Fahrradfahrende kam zur Tür herein.“
Steuerberater Steuerberatender
Raucher Rauchende? Raucherbein Rauchendenbein?
Christen Christ*innen? Christentum Christ*innentum?
Redner Redende? Redner*innen?
Bürger Bürgende? Bürger*innen
Meister Meisternde? Meister*innen
Werden dann aus den Bürgermeistern Bürger*innenmeister*innen? Oder aus dem Einwohnermeldeamt ein Einwohner*innenmeldeamt?

Redewendungen werden zum Problem:
Jeder ist seines Glückes Schmied Jede/jeder ist ihres/seines Glückes Schmied*in?
Übung macht den Meister Übung macht den/die Meister*in?
Frauen sind die besseren Autofahrer Frauen sind die besseren Autofahrer*innen?
Die Polizei – dein Freund und Helfer Die Polizei – deine Freund*in und Helfer*in)

Die Neuregelungen sind in der Regel nicht verallgemeinerbar. Sie schaffen viele neue grammatische Zweifelsfälle und sprachliche Unklarheiten.

- Gendern geht in einigen Fällen gar nicht

der Mensch die Menschin? Menschen Mensch*innen?
die Deutschen, die Deutsch*innen? Deutsche Deutsch*innen?
der Feiglinge die Feigling*in? Feiglinge Feigling*innen

Sollen literarische Texte (Gedichte, Romane) gegendert werden? Sollen bereits geschriebene Texte nachträglich gegendert werden? Fast alle Dichter und Schriftsteller lehnen das ab und halten das Gendern ihrer Texte für eine Zumutung.

Dennoch gibt es auch sinnvolle Vorschläge. Nichts spricht dagegen, das „Rednerpult“ statt in „Redner*innenpult“ in „Redepult“ umzubenennen, wie es einige Gender-Anleitungen vorschlagen.

- Gendern kostet viel Geld, weil Formulare, Aufschriften, Schriftstücke aller Art (z. B. in Behörden) neu hergestellt werden müssen

Das ist zwar kein sprachwissenschaftliches Argument, aber trotzdem wichtig, weil die Kosten für Gender-Anleitungen sowie neue Formulare in Behörden und Institutionen von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Es sind bereits große Summen dafür ausgegeben worden (jüngstes Beispiel: Stadtverwaltung Hannover).

Kurze Bewertung aus sprachwissenschaftlicher Sicht:

1. Das Gendern der Sprache ist bereits im theoretischen Ansatz falsch, weil der Impuls von der Gender-Ideologie ausgeht, nicht vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Sprache verändert sich aber durch den Sprachgebrauch und nicht am sprachfeministischen Reißbrett. Sie verändert sich von unten nach oben, nicht umgekehrt, es sei denn, man betreibt bewusst Sprachpolitik in manipulativer Absicht.

2. In der praktischen Wirkung ist das Gendern der Sprache kontraproduktiv. Mehr Geschlechtergerechtigkeit wird nicht durch Sprachvorschriften erreicht, sondern durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in den letzten vierzig Jahren verstärkt stattgefunden haben. Dieser Prozess wird weitergehen, und die Sprache wird ihn angemessen abbilden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, als bestimmte Aktivisten es sich wünschen. Eine feministische Sprachpolitik braucht es dazu nicht. Es ist – nebenbei bemerkt – schon irritierend, wenn ausgerechnet Menschen, die sich selbst für sensibel und achtsam halten, keine Skrupel haben, die Sprache zu misshandeln.

Letztlich geht es um Deutungshoheit und um Macht. Obwohl die Verfechter des Genderns eine kleine Minderheit sind, haben sie großen Einfluss. Ihr Hebel ist eine bestimmte Moral. Wer sich der neuen Sprachpolitik verweigert, gilt als rechts, frauenfeindlich, reaktionär, gestrig. Sachargumente aus der Sprachwissenschaft haben keine Chance, denn nicht die Sache – die Sprache – ist wichtig, sondern die „richtige“ Gesinnung. Der Mehrheit soll eine Sprachregelung verordnet werden, um das Bewusstsein in Richtung der Gender-Ideologie zu verändern. Man kann das auch Manipulation und Bevormundung nennen. Geschlechtergerechtigkeit wird dadurch nicht befördert, eher im Gegenteil. Das Gendern der Sprache durch eine Minderheit erweist der Sache der Frauenemanziation einen Bärendienst, weil die Veränderungen im Kern sprachfremd sind und weil die große Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher Eingriffe „von oben“ in das Sprachsystem ablehnt.

Die Ablehnung ist oft intuitiv, weil die meisten Menschen wenig Einblick in das Sprachsystem haben, aber merken, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Die Zustimmung auf der anderen Seite ist oft blind, weil sie aus einer Mischung aus Unkenntnis über die Funktionsweise der Sprache, schlechtem Gewissen und falscher Solidarität mit feministischen Aktivistinnen erfolgt.

Fazit: Unbedachte und ideologisch motiverte Eingriffe in das gewachsene Sprachsystem verursachen Unsicherheiten und grammatisches Durcheinander.

Paul Pfeffer

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Tina -- Dienstag, 11.12.2018, 12:45
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