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Re: Milch im 1l-Pack
Autor:Ivan Panchenko
Datum: Fr, 03.07.2020, 16:13
Antwort auf: Re: Milch im 1l-Pack (Julian von Heyl)

Im Rechtschreibduden-Eintrag Briefmarke steht »1-€-Briefmarke«, der Duden koppelt beim Eurozeichen also durch. Wieso dann 5 %-Klausel? Eine mögliche Erklärung ist, dass das Eurozeichen für den Anfangsbuchstaben von Europa steht und daher wie ein Buchstabe behandelt wird. Das Prozentzeichen kann dagegen zwar auf cento zurückgeführt werden*, es erinnert aber an die Bruchschreibweise und die Kringel werden heutzutage gerne als Nullen gedeutet – so kommen das Promille- (‰) und das Vom-Zehntausend-Zeichen (‱) zustande, im Arabischen werden entsprechend Punkte verwendet (٪, ؉, ؊).

Eine Durchkopplung kann außerdem ausbleiben, wenn etwas als Zitat ausgewiesen ist, so könnte man statt Star-Wars-Film auch »Star Wars-Film« schreiben, wo »Star Wars« mit dem Kursivsatz als Zitat gekennzeichnet ist. Im amtlichen Regelwerk findet sich 400-m-Lauf, man könnte aber »400 m-Lauf« auf eine ähnliche Weise wie »Star Wars-Film« begründen, nämlich damit, dass »400 m« als sprachunabhängiger mathematischer Term verwendet und wie im Original belassen wird (auch wenn das im Deutschen natürlich wie vierhundert Meter gelesen wird), nur wird die mathematische Formelsprache nicht unbedingt besonders ausgezeichnet (allerdings kommt es vor, dass für den Formelsatz eine andere Schriftart verwendet wird). Im Internationalen Einheitensystem sind Einheitenzeichen keine Abkürzungen, sondern mathematische Symbole, in der SI-Broschüre steht entsprechend zum Englischen: »En anglais, même lorsque la valeur d’une grandeur est utilisée comme adjectif, il convient de laisser une espace entre la valeur numérique et le symbole de l’unité.« SI-konform wäre also zum Beispiel »a 35 mm film« statt »a 35-mm film«.

Nun ist es eigentlich so, dass Multiplikation in der Mathematik bereits durch Aneinanderschreiben angezeigt werden kann, und da das Leerzeichen in »400 m-Lauf« nicht mehr der ausgeschriebenen Form entspricht, könnte man auf die Idee kommen, den Zwischenraum hier fallenzulassen und (abweichend vom SI) »400m-Lauf« zu schreiben, zum Vergleich: »2π-periodisch«. Andererseits ist jedoch vorgeschrieben, die Multiplikation von Einheiten mit einem Zwischenraum oder einem zentrierten Punkt zu kennzeichnen, um zu verhindern, dass bestimmte Vorsatzzeichen als Einheitenzeichen fehlinterpretiert werden; so landen wir bei »N m« für den Newtonmeter, obwohl deutsch Newtonmeter anders als französisch newton mètre zusammengeschrieben wird (viele schreiben abweichend vom SI »Nm«). Man könnte vor Einheitenzeichen einen schmalen Zwischenraum verwenden.

Früher sah der Duden übrigens auch vor, dass der Zwischenraum vor dem Prozentzeichen bei Zusammensetzungen entfällt (»5%-Klausel«), und so wird immer noch nach den Interinstitutionellen Regeln für Veröffentlichungen des Amtes der EU geschrieben. Heute schreibt Duden 5 %-Klausel, aber 100%ig – es kann argumentiert werden, dass hundertprozentig die Wortgruppe hundert Prozent nicht wirklich enthält, vielmehr haben wir es hier mit Komposition zu tun, vgl. hochprozentig (hoch Prozent wäre ja Quatsch), dreijährig (statt drei-Jahre-ig), langjährig etc. Wie wäre es dann mit 100% ohne (!) Zwischenraum als Symbol für hundertpro? Das Prozentzeichen wird zwar generell nicht als Pro gelesen, aber manche schreiben ja auch ½ Flasche für eine halbe Flasche.

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=905#42276

Im Zweifelsfälleduden findet sich hingegen »5 %ig« mit Zwischenraum. Laut dem Ausspracheduden wird zumindest hundertprozentig besonders adverbial auch mit Hauptbetonung auf der vorletzten statt der ersten Silbe gesprochen, trotzdem sehe ich hier keine Wortgruppe, wir haben ein vergleichbares Akzentuierungsmuster ja auch bei anscheinend etc. Und gegen eine Schreibweise der Art 100-Prozent-ig (statt 100-prozentig) spricht alleine schon, dass nicht […t͡sɛntʔɪç] gesprochen wird, sondern gebunden […t͡sɛntɪç].

Mit der Handhabung des amtlichen Rechtschreibregelwerks konfligieren bei »5(-)m(-)×(-)5(-)m-Netz« zwei Prinzipien. Das Malkreuz ist kein alphanumerisches Zeichen (Unterbleiben von Bindestrichen: »4 × 100-Meter-Staffel«, vgl. das Beispiel »2:3-Niederlage« im amtlichen Regelwerk; der Duden verwendet hier übrigens Zwischenräume – »eine 2 : 3-Niederlage« –, bei »5 : 2 (2 : 0)-Sieg« ist der Zwischenraum direkt vor der öffnenden Klammer meines Erachtens jedoch fehl am Platz), aber der Buchstabe m ist eines und 5-m × 5-m-Netz wäre ja nun auch Quatsch. »°C« enthält das Gradzeichen, daher würde ich hier nicht durchkoppeln (»30 °C-Marke«), wer allerdings (abweichend vom SI) »30° C« (statt »30 °C«) schreibt, kann durchkoppeln: 30°-C-Marke.

* Tropfke (1902) hält das Prozentzeichen für die Abkürzung Cto, bleibt aber einen Beleg für die Verwendung dieser Abkürzung in nicht-ligierter Form schuldig (in Sprachen ohne allgemeine Substantivgroßschreibung wäre cto sinniger, was von der Linienführung her nicht so gut passt), zudem hat David Eugene Smith eine ältere Form des Prozentzeichens ausfindig gemacht (ca. 1425), bei der cento als oben verlängertes c mit einem o obendrauf (vergleichbar mit der Schreibweise von Ordinalzahlen) geschrieben wird.

Daraus wurden zwei übereinanderliegende o, die (wie bei einem Bruch) von einem horizontalen Strich getrennt werden, und später fiel das per davor weg. »The solidus form (%) is modern.« Nun wird die Verlängerung wohl kaum für das t stehen, auch taucht das o in der ordinalzahlartigen Form gerade oberhalb des c auf. Erst recht halte ich die Herleitung von №/c für numero per cento für falsch – mir ist nicht bekannt, dass dieses Zeichen je in Gebrauch war, und statt etwa »50 №/c« könnte doch direkt »50/c« geschrieben werden.

Ein Benutzer des Forums der Gesellschaft zur Stärkung von Verben ist auf das Wort Produzent für ein Zweihundertstel (lateinisch ducenti für 200) gekommen, ein Homonym zum Maskulinum Produzent. Wenn jedoch das italienische Wort duecento herhalten soll (so ähnlich wie italienisch cento für Prozent bzw. frühneuhochdeutsch pro cento), landen wir bei Produezent. Man könnte beim Prozentzeichen den zweiten Kringel durch ein d ersetzen und das Ganze dann als Symbol für das [sic!] Produzent nehmen oder aber einen Bogen an beiden Kringeln statt nur dem linken verwenden, was dann an eine Zwei mit zwei Nullen erinnert. Interessant finde ich, dass zwar Promille geschrieben, aber auch [proˈmɪl] gesprochen wird, was dazu besser passt, dass wir Prozent statt Prozento sagen.

Es gibt auch einen Fall, wo durchgekoppelt wird, obwohl man in Anbetracht der ausgeschriebenen Form etwas anderes erwarten könnte, dazu habe ich hier etwas geschrieben (ich distanziere mich übrigens von der politischen Ausrichtung des Blogs): https://furormundi.wordpress.com/2012/06/30/wie-die-rechtschreibung-wieder-mal-von-ihren-eigenen-trainern-ko-geschlagen-wird/#comment-1223

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