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Re: sind oder seien?
Autor:Pumene
Datum: Mi, 08.09.2021, 20:46
Antwort auf: Re: sind oder seien? (Gernot Back)

> Man würde ja auch
> nicht „angeblich“ und den Konjunktiv 1 in ein und demselben Satz
> kombinieren.
Manche kombinieren es zumindest mit Konjunktiv II:

https://cms.falter.at/blogs/hbergmann/2020/09/07/leben-in-zeiten-des-konjunktivs/?ref=related

Leben in Zeiten des Konjunktivs
Die Corona-Ampel ist als Zwischending zwischen Müssen und Sollen die perfekte Parabel für die österreichische Seele

HARRY BERGMANN — 07.09.2020

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Bitte verraten Sie mich nicht. Unlängst traf ich einen Freund zum Kaffee, aber nicht in der Loge 17.

So hatte ich ihn noch selten gesehen. Er war völlig außer sich über die Premiere der Regierungsdauerpressekonferenzherbstsaison. Ich war mir nicht einmal sicher, ob der Schaum vor seinem Mund vom Cappuccino stammte.

Es ist ja auch wirklich ärgerlich. Der Kanzlerdarsteller beginnt und sagt nix. Aber er hält sich nicht nur für Kurz, er hält sich auch kurz. Wenigstens etwas. Der Witzekanzler wiederholt das Nix, verschachtelt es aber so lange, dass es anfängt das zentrale Nervensystem anzugreifen. Nicht seines, unseres. Was er zu sagen versucht ist: „Na nix ist das auch wieder nicht!“ Eine Art Eigenlob also. Der Wellnessminister, der alte Tafeln aus der Volksschule mitgenommen hat, versucht mit einschläfernder Stimme (Schlaf ist gesund!) vorzutäuschen, dass sein Nix ein völlig anderes Nix als das des Kanzlerdarstellers sei. Der Versuch misslingt kläglich.

Apropos Volksschule: Punkti, Punkti, Strichi, Strichi, fertig ist das Mondgesichti. Die Corona-Ampel hat das Licht der Welt erblickt.

Die Farben der Corona-Ampel könnten etwas bedeuten, müssen es aber nicht | Foto: APA/Hans Punz

Jetzt ist es ja nicht so, dass wir nicht wüssten, wie eine Ampel funktioniert oder was die Farben Rot, Gelb und Grün bedeuten. Vor allem haben wir gelernt, wenn diese oder jene Farbe aufleuchtet, bedeutet es etwas ganz Bestimmtes. Und nur das. Eine Ampel ist etwas „Imperatives“. Gibt’s das Wort eigentlich? Wurscht, jetzt gibt’s es. Bleib stehen! Pass auf! Geh! Ganz klar, ganz eindeutig.

Bei der Corona-Ampel ist das anders. Die Farben könnten etwas bedeuten, müssen es aber nicht. Was für den einen Rot, ist für den anderen Gelb oder Grün oder auch Rot. Die Kommission, die das bestimmt, ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Also von denen erfahren wir es sicher nicht. Die Corona-Ampel und vor allem die daraus abgeleiteten Maßnahmen sind etwas „Konjunktives“. So, jetzt gibt’s das Wort auch.

Ich verstehe allerdings weder die Verwunderung noch die große Aufregung darüber. Seitdem uns dieses Virus heimgesucht hat, ist doch alles, was wir von der Bundesregierung gehört und gesehen haben, etwas Konjunktives.

Es könnte. Es sollte. Es müsste. Eine Verordnung ist ein Wenn, ein Gesetz ein Aber. Eine Anordnung ist eine Empfehlung. Eine Pflicht ist eine Kür. Negativ könnte auch positiv sein. Positiv könnte auch negativ sein. Ein Körper könnte auch ein Antikörper sein. Vorsicht könnte auch Lächerlichkeit sein. Masken sollten eigentlich gut sein, könnten aber angeblich die Bürgerrechte einschränken. Ein Meter Abstand könnte genug oder zu wenig sein. Und wenn ein Meter gar nicht geht, dann dürften wir auch darauf verzichten.

Wir leben in einer Zeit des Konjunktivs. Der Konjunktiv ist wie zwei Leuchttürme, entweder es gilt der eine oder der andere. Wir verlieren die Orientierung. Wir verlaufen uns im Gesetzes- und Verordnungslabyrinth. Und die Kommunikation der Regierung lässt uns noch ein paarmal im Kreis rennen.

Der Konjunktiv macht unsicher, manchmal sogar Angst. Man könnte aber umgekehrt auch sagen: „Der Konjunktiv lässt Spielraum für eigene Entscheidungen. Er ist demokratisch!“ Mit den eigenen Entscheidungen des Einzelnen wiederum haben wir zu Coronazeiten nicht die besten Erfahrungen gemacht. Also, wie jetzt?

Wenn die Regierenden imperativ agieren, schreien wir „Diktatur! Machtspiele! Freiheitsberaubung!“. Wenn die selben Regierenden konjunktiv herumeiern, schreien wir „Ahnungslose Herumlavierer! Führungsunfähige Dilettanten!“.

Zum Glück müssen wir uns all diesen Frage aber nicht stellen. Wir sind in Österreich, dem Land des Konjunktivs. Wenn die Schweizer Ricola erfunden haben, dann wir den Konjunktiv. Er ist unser Lebensprinzip. Nur nicht unmissverständlich sein. Nur nicht gerade heraus reden. Nur keine Ecken und Kanten. Nur nicht die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten wählen. Das könnte uns alles zu nah an die Geradlinigkeit der unsympathischen Deutschen bringen.

Wir nennen es Höflichkeit. Wir nennen es Konzilianz. Wir nennen es Schmäh. Wir nennen es Flexibilität. Sogar der Kanzlerdarsteller hat neulich von „flexibler Solidarität“ gesprochen.

Wir beherrschen alle Formen des Konjunktivs. Da gibt einen, der ist besonders österreichisch. Nennen wir ihn den „gescheiterten Sieg“ oder noch besser das „siegreiche Scheitern“. Warum wir dafür ein finnisches Wort verwenden, kann ich Ihnen leider auch nicht sagen. „Hättiwari“ Da Sie voraussichtlich der finnischen Sprache nicht allzu mächtig sind, übersetze ich das gerne. „Hätte ich nicht soviel Pech gehabt, wäre ich natürlich Sieger.“

Zum guten Schluss: eine ambitionierte Erklärung des Konjunktivs ohne die zögerliche, fast ein wenig duckmäuserische Anrede „es warat wegen“ wäre nicht vollständig. Also nehmen wir den höchstwahrscheinlichen Fall an, dass Sie sich mit der Corona-Ampel nicht auskennen. Und nehmen wir ferner den höchst unwahrscheinlichen Fall an, dass Sie es dabei nicht belassen wollen. Und nehmen wir schlussendlich auch noch an, dass Ihnen die Eigenheiten des Josephinischen Amtsverkehrs nicht geläufig sind und Sie sich doch tatsächlich offiziell erkundigen wollen: Ja dann sollten Sie, vorzugsweise in leicht devoter Körperhaltung, Ihr Anliegen so beginnen: „Es warat wegen der Corona-Ampel, …“

Genau das wollte ich meinem schäumenden Kaffeefreund vorschlagen, aber da war er vor Zorn bereits derart echauffiert, dass ich seinen hochroten Kopf Corona-ampelmäßig als „Besser jetzt nicht!“ gedeutet habe.

Das nächste Mal könnte ich, im Zusammenhang mit dem Konjunktiv, über die Konjunktivitis schreiben. Was allerdings eine Bindehautentzündung damit zu tun hat, wüsste ich jetzt auch nicht. Vielleicht finde ich ja noch etwas wirklich Interessantes.

Ihr
Harry Bergmann

Gruß

Pumene

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