Forum > Rechtschreibforum

Entlehnte Fügungen – es bleibt kompliziert!
Autor:Ivan Panchenko –
Datum: So, 14.07.2024, 19:13

Vor 1996 galt für entlehnte substantivische Fügungen im Grundsatz Großschreibung am Anfang bei sonstiger Kleinschreibung, zum Beispiel Reductio ad absurdum. Es gab aber Abweichungen davon – als Gegenüberstellung: Desktop publishing, Chewing-gum, Cherry Brandy, Irish-Stew.

Später ist vereinheitlicht worden, so dass Großschreibung des ersten Wortes und aller Substantive gilt, wobei zusammengesetzte Wörter zusammen- oder mit Bindestrich statt mit Wortzwischenraum geschrieben werden, also rein theoretisch Very light Jet und Destination-based Cashflowtax/Cashflow-Tax/Cash-Flow-Tax. Hinsichtlich der Groß-/Kleinschreibung ist das mit Bindestrichschreibungen (zum Aus-der-Haut-Fahren) vergleichbar; zwar ist Common Sense kein zusammengesetztes Wort, aber die Fügung wurde nicht innerdeutsch aus zwei Wörtern gebildet, sondern als Ganzes entlehnt, womit sie gewissermaßen eine Einheit bildet. Hingegen heißt es nicht 8-Mal, sondern 8-mal (beim Adverb auch mit Bindestrich überall klein; aber: 8 Mal); auf vergleichbare Weise heißt es per definitionem statt per Definitionem.

Inzwischen finde ich diese Handhabung unglücklich: Die Großschreibung ganz am Anfang ist eine recht harmlose Anpassung, wie der Vergleich mit Satzanfängen zeigt, doch eingegriffen wird ja auch ins Innere. Mit der Schreibweise inquestion (statt in question) – analog zu infrage (daneben geht auch in Frage) – könnte die Sache auf die Spitze getrieben werden; warum nicht gleich Kompjuter? Umgekehrt wird nicht welt schmerz als englische Schreibweise gebraucht, sondern weltschmerz. Es könnte ins Feld geführt werden, dass manchmal auch eine Deutung als innerdeutsche Zusammensetzung aus zwei Anglizismen möglich ist (Shoppingcenter: Shopping und Center) und auf diese Weise die Zusammenschreibung vereinheitlicht wird, doch dafür gibt es an anderer Stelle einen Unterschied: Reductio ad Absurdum (Reduktion auf das Absurde), aber ad absurdum führen; People of Color, aber Deutsche of color. Ich würde mich auf zwei Dinge besinnen, nämlich den traditionellen Grundsatz, dem zufolge Reductio ad absurdum geschrieben wird, und die Großschreibung in Eigennamen und dergleichen, mit der sich Schreibweisen wie Spaghetti Bolognese oder Very Light Jet begründen lassen.

Im Gegensatz zu Partys ist Parties nicht zugelassen, es wurde also auf die deutsche Pluralform vereinheitlicht, andererseits ist Golden Twenties ein Pluraletantum, so dass da keine y-Schreibung zum Tragen kommt, zudem sind hier zwei Varianten zulässig: Couchpotato(e)s/Couch-Potato(e)s. Ein anderer interessanter Fall sind doubeln und puzzeln: Warum nicht stammgetreu doublen und puzzlen? Der e-Ausfall im Verbstamm bei ich puzzle sollte kein Problem sein, dann entfällt eben auch das stumme e und dafür steht ein nicht-stummes e. Möglich ist aber auch die Form ich puzzele. Wird der Stamm mit -le geschrieben, so ergibt sich die verwirrende Schreibweise ich puzzlee, mit e-Tilgung ich puzzle, wo die beiden e-Laute, für die das e steht, aber nicht aufeinanderfolgen, sondern um den l-Laut gewickelt sind, der Fall ist also noch verrückter als Erdős’ und aufteen. Dennoch sind (neben batteln und recyceln) battlen und recyclen zulässig. Bei feature in dreisilbiger Aussprache stellt sich das Problem nicht, da stehen u und e für die e-Laute, bei zweisilbiger Aussprache wie fietschre entspricht tu einfach einer tsch-Affrikate.

Bei Just-in-time-Compiler/Just-in-Time-Compiler würde sich die Frage nach der Deutung stellen: Als Ganzes entlehnt oder nicht? Selbst wenn nicht, so wurde im Juli 2024 für so etwas (betrifft speziell Zusammensetzungen) Substantivgroßschreibung zugelassen, zum Beispiel De-Facto-Anerkennung (daneben wie bisher De-facto-Anerkennung; aber nur: de facto), was mir nicht besonders gefällt. Außerdem ist neben Face-to-Face-Kommunikation auch Face-to-face-Kommunikation zugelassen, aber Open-Source-Software nur so, obwohl «Die Software ist open source» gesagt werden kann. Ich würde das damit rechtfertigen, dass der prädikative Gebrauch von open source bloß eine Anlehnung an den Gebrauch als Kompositionsglied ist, zumindest habe ich diesen Eindruck. Knifflig ist dann aber Lehmer five für fünf Folgen von zahlentheoretischem Interesse: Ist entlehnt das erste Wort dann doch als attributiv gebrauchtes Adjektiv aufzufassen oder immer noch als Kompositionsglied (obwohl wir ja nicht die Lehmer-fünf sagen würden)?

antworten


Beiträge zu diesem Thema

Entlehnte Fügungen – es bleibt kompliziert!
Ivan Panchenko – -- Sonntag, 14.7.2024, 19:13
Re: Entlehnte Fügungen – es bleibt kompliziert!
Couch-Potator -- Sonntag, 14.7.2024, 23:26
Re: Entlehnte Fügungen – es bleibt kompliziert!
Ivan P. -- Montag, 15.7.2024, 09:00
Re: Entlehnte Fügungen – es bleibt kompliziert!
Couch-Potator -- Montag, 15.7.2024, 09:25