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Re: Komma in verkürzten Sätzen
Autor:Tiax
Datum: Mi, 05.09.2012, 22:45

Über Dr. Bopp weiß ich nur, was in seinem Blog unter »Wer ist Dr. Bopp?« steht: Stephan Bopp, promovierter Linguist, anscheinend Schweizer, ist für die »sprachlichen Inhalte« auf Canoo verantwortlich. Wenn du nach meiner persönlichen Einschätzung fragst, dann halte ich sein Blog für eine mindestens so verlässliche Quelle wie den Duden-Newsletter. ;)

Aber noch mal zu unserer Ausgangsfrage zurück. Wir sind uns anscheinend alle einig, dass wir es mit einer elliptischen Konstruktion zu tun haben. Ich hab mir seit gestern ein paar wirre Gedanken dazu gemacht und ein paar experimentelle Formulierungen ausprobiert, die ich einfach mal poste. Alles ungeordnet, reine Spekulation und teilweise höchst irrelevante Gedankenexperimente.

Ausgangssatz: Ich meine(,) nicht.

Wie sieht die Sache aus, wenn wir die Wortstellung verändern?

Bemerkung: »Ich meine, dass er schon 40 ist.«
Kommentar: »Meine ich nicht.«

Offensichtlich kein Komma, aber der Fall ist auch anders gelagert. Da haben wir’s recht eindeutig mit einem verkürzten Hauptsatz zu tun: Das meine ich nicht.

Frage: »Glaubst du, dass er schon 40 ist?«
Antwort: »[Eher] nicht, meine ich.«

Auch eindeutig. Hilft uns nicht weiter. Und »Meine nicht ich[, sondern hat X behauptet]« ist ebenfalls nicht erhellend. Änderung der Wortstellung ist hier nicht aufschlussreich.

Was wäre, wenn der Antwort noch der Name des Fragestellers folgen würde? Der »Hör mal, wer da hämmert«-Stil:

Tim Taylor: [Irgendein Blödsinn.]
Al Borland: »Ich glaube, nicht, Tim.«
Al Borland: »Ich glaube nicht, Tim.«

Hier würde ich schon aus ästhetischen Gründen auf die Kommaklammerung des »nicht« verzichten wollen. Allerdings sagt Al in der Fernsehserie meist: »Das glaub’ ich nicht, Tim«, wenn ich mich nicht täusche (hab die Serie schon lange nicht mehr gesehen), und korrekte Kommasetzung hat auch wenig mit Ästhetik zu tun.

Trotzdem ist das Beispiel nicht ganz irrelevant, denn ich sehe hier ein kleines Indiz dafür aufscheinen, dass das »nicht« hier nicht für einen verkürzten Nebensatz steht: Sprachökonomie. Warum überhaupt eine Antwort mit einem Nebensatz – sei er auch verkürzt – bilden, wenn ein Hauptsatz ausreicht?

Weiterhin: »Ich glaube, dass das nicht zutrifft, Tim« ist ein sehr aufwendiger Satz. Mir – rein subjektiv – scheint sogar ein »Ich glaube nicht, Tim, dass das zutrifft« sinnvoller. Wozu die Verneinung in den Nebensatz ziehen und diesen dann aller Elemente außer eben dieser Verneinung berauben, wenn ich die Verneinung auch schon im Hauptsatz erledigen und mir den Nebensatz danach insgesamt schenken kann?

Noch ein Beispiel im »Hör mal, wer da hämmert«-Stil:

Unverkürzt:

»Ich meine, Tim, dass das nicht zutrifft.« (Möglich)
»Ich meine nicht, Tim, dass das zutrifft.« (Möglich)

Verkürzt:

»Ich meine, Tim, nicht.« (Wirklich möglich? Kann man das sagen? Vielleicht, aber es ist – Achtung: Wortspiel! – ausgesprochen missverständlich.)
»Ich meine nicht, Tim.« (Möglich)

Noch mehr »Sprachökonomie«:

Folgendes ist absolut wertlos, da es auf Selbstbeobachtung und subjektiver Einschätzung beruht, ich bring’s trotzdem mal. In meiner persönlichen, dialektal angehauchten Umgangssprache ist »Ich glaube(,) nicht« in der Aussprache ein einziges, dreisilbiges Wort. Oft reduziere ich es sogar auf ein einfaches »Glaub’ nicht«, dass nach meiner subjektiven Einschätzung nicht wesentlich länger als ein simples »Nein« ausgesprochen wird. Soweit anekdotisches und wertloses Gebrabbel, jedoch lässt sich zumindest die zusätzliche Verkürzung, auf »normale« Umgangssprache übertragen. Wie sehen die Sätze also aus, wenn wir uns auch noch das »Ich« schenken?

Frage: »Ist er wohl schon 40?«
Antwort: »Glaub’, nicht.«
Antwort: »Glaub’ nicht.«

Ist hier die Variante mit Komma wirklich sinnvoll? Ich hab da meine Zweifel. Das Beispiel ist aber ein bisschen unfair, geb ich zu.

Noch ein Fortsetzungsfall, der mir gerade einfällt. Diesmal folgt kein Name, sondern ein weiterer Nebensatz:

Frage: »Denkst du, dass er schon 40 ist?«
Antwort: »Ich denke, nicht, auch wenn er so aussieht.«
Antwort: »Ich denke nicht, auch wenn er so aussieht.«

Kann hier das »nicht« tatsächlich für einen verkürzten Nebensatz stehen? Möglich, aber jedenfalls unschön. (Wobei »unschön« natürlich keine Kategorie korrekter Kommasetzung ist.)

Drehen wir die Sache um. Statt den Satz fortzusetzen, lassen wir ihm diesmal eine eindeutige Antwort vorausgehen:

Frage: »Ist er wohl schon 40?«
Antwort: »Nein, ich denke, nicht.«
Antwort: »Nein, ich denke nicht.«

Und weil’s so viel Spaß macht und so schnell geht:

Frage: »Ist er wohl schon 40?«
Antwort: »Ich meine, nicht, nein.«
Antwort: »Ich meine nicht, nein.«

Auch hier würde ich das »nicht« gerne aus der Umklammerung durch die Kommas befreit sehen. Zu Recht? Keine Ahnung.

Aber genug des wüsten Spekulierens. Ich halte es für plausibel, dass »nicht« hier für einen verkürzten Nebensatz stehen kann, aber je länger ich über die Sache nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass dies den Sonderfall und meine ursprüngliche Interpretation den Normalfall darstellt. Vielleicht. Wie gesagt, nichts Genaues weiß ich nicht.

Die amtlichen Regelungen schweigen sich dazu aus. Wenn das »nicht« für einen verkürzten Nebensatz steht, dann ist das Komma wohl obligatorisch, da es sich nicht um eine »formelhafte« Verkürzung handelt. Äh, behaupte ich jetzt einfach mal. Da müsste man dann fragen, was unter »formelhaft« bitteschön zu verstehen sei, aber wer weiß schon, was sich die Reformer dabei gedacht haben? Unser Fall passt jedenfalls nicht zu den einschlägigen Beispielen im amtlichen Regelwerk.

Leider war auch meinen erweiterten Internetrecherchen kein Erfolg beschieden. Zwar nach langem Suchen und Blättern ein paar Treffer, die sich mit einem ähnlichen Problem befassten, aber keine substanziellen Argumente.

Eine klitzekleine Ausnahme: Auf »Mundmische.de« unter »Ich denke nicht (so)« fand ich einen Eintrag, der gegen Kommasetzung ist, gefolgt von einem Kommentar, der für die Interpretation als verkürzter Relativsatz plädiert. Begründung: Missverständlichkeit. »Ich denke nicht« könnte auch als generelles Eingeständnis von Denkfaulheit aufgefasst werden. Weder die Site noch der Beitrag ist verlinkenswert. Über das Argument kann man ja trotzdem nachdenken, wenn man will. ;P

Mein persönliches, immer noch absolut ahnungsloses Fazit:

Ich halte weiterhin beide Interpretationen für theoretisch möglich. Wenn man das »nicht« als verkürzten Nebensatz interpretiert, ist das Komma wohl obligatorisch. Die Interpretation als verkürzter Nebensatz läuft zumindest meiner persönlichen Sprecherintention und -intuition zuwider, was aber mal gar nichts heißen will. Ich hab mich schon zu oft geirrt, als dass ich darauf irgendwas geben würde. Sprachökonomisch scheint mir die Verwendung eines Nebensatzes – auch wenn er verkürzt ist und nur aus einem Wort besteht – nicht sinnvoll, wenn ich mit einem gleichlautenden Hauptsatz ebenfalls ans Ziel komme. In meinen persönlichen »Sprechakten« ist von diesem möglichen Komma vor »nicht« auch nichts zu finden, soweit ich das subjektiv beurteilen kann; d. h., dass ich keinerlei Pause, Zögern oder auch nur leicht gedehntes Sprechen an dieser Stelle spüre. Selbst eine nur angedeutete Sprechpause an dieser Stelle erschiene mir künstlich und falsch. (Im Gegensatz zu Fällen wie: Ich denke: nein. Ich meine: ja.)

Hier steh ich nun, ich armer Tor, und bin ein Tiax wie zuvor. ;P

Tiax

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