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Re: Anteilangaben und Numerus
Autor:Jesse
Datum: Mo, 21.11.2016, 18:36
Antwort auf: Anteilangaben und Numerus (Vicente Ayuso)

Das erste ist korrekt. Bruchzahlen richten sich normalerweise nach dem Zähler. Der Zähler bestimmt gesprochen den Numerus der Phrase. Das erkennt man schon daran, dass man "ein Fünftel, zwei Fünftel" schreibt (und in Ziffern notiert zumindest spricht) und nicht etwa "Eins durch Fünf" oder "Zweifünftel". Deswegen heißt es: ein Fünftel lebt und zwei Fünftel leben . 1 Prozent ist ja nichts anderes als ein Hundertstel. Für Hundertstel gilt natürlich das gleiche wie für Fünftel. Auch die andere Formulierung mit pro ändert daran nichts, vgl.: 20 Übungen pro Tag sind schon viel; 1 Übung pro Tag ist schon viel.

Daran ändert sich nichts, wenn man ein Substantiv im Genitiv anschließt. Es steht eben im Genitiv während die Bruchzahl im Nominativ als Substantiv steht und damit den Numerus des Prädikats bestimmt. Es ändert sich allerdings etwas, wenn das angeschlossene Substantiv ebenfalls im Nominativ steht. Z.B.: 70% Eis in der Region ist/sind bereits verschwunden. Hier wird das Substantiv teil des Subjekts und damit für den Numerus relevant. Hier kann der Numerus ebenfalls korrekt dem Substantiv folgen. 100 ml Milch wird (werden) erhitzt. Der Numerus der Mengenangabe bleibt aber ebenfalls korrekt, womit man sich auch immer danach richten kann. Also auch: 70% Eis in der Region sind (neben: ist) bereits verschwunden. Ebenfalls: 1% Uhren sind/ist kaputt. Aber eben nur: 70% des Eises sind bereits verschwunden. 1% der Uhren ist kaputt.

Zu deinem Beispiel aus der FAZ, aus dem sich noch zusätzlich Teilfragen ergeben:

65 Prozent stimmen der Aussage zu

Hier steht die Zahl ohne weiteres Substantiv für sich. 65 Prozent stimmen zu muss im Plural stehen, genau wie: 65 Leute stimmen zu.

Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) meinen

Hier ist beides möglich. Bei vergleichenden Angaben wie mehr/weniger als fällt häufig Grammatik und Semantik auseinander, was dann eben dazu führt, dass es von vielen falsch gemacht wird und dadurch Standardsprache wird. Grundsätzlich ändern diese Zusätze den Numerus nicht. Das wird an Beispielssätzen deutlich wie: Mehr als einer sind nicht gekommen. Weniger als zwei ist nicht gekommen. Semantisch ist völlig klar, dass im ersten Satz nur zwei oder mehr nicht gekommen sein können und im zweiten Satz nur genau einer nicht gekommen ist. Und dennoch ist offensichtlich, dass der Plural bzw. der Singular falsch ist. Denn die semantische Anzahl im Ergebnis spielt für den grammatischen Numerus eigentlich keine Rolle. Was für uns bei mehr als einer sind nicht gekommen völlig klar erscheint, ist bei etwas mehr als die Hälfte der Befragten meinen gar nicht mehr klar. Korrekt müsste es heißen: Mehr als die Hälfte der Befragten meint. Das ist grammatikalisch nicht erklärbar, aber eben in der Praxis so häufig verwendet, dass man es als standardsprachlich ebenso korrekt akzeptieren muss. Zu der Prozentangabe dahinter, siehe nächstes Beispiel.

Die große Mehrheit (83 Prozent) sieht die Verantwortung

Das ist korrekt. Hier kann nur der Singular stehen. Wir haben hier wieder einen neuen Fall, nämlich zwei Subjektteile, woraus sich häufig Kongruenzprobleme ergeben, die ich jetzt hier nicht umfänglich behandeln will. Als vereinfachende Faustregel für solche Fälle gilt: Der Subjektteil der betont wird, der als wichtiger hervortritt, bestimmt den Numerus. Z.B: Die Stadtwerke AG haben neue Busse gekauft; aber auch: Die Stadtwerke AG gibt 2 Millionen Gewinn bekannt. Oder hierauf übertragen: Die große Mehrheit (83 Prozent) sieht die Verantwortung; aber: 83 Prozent (also die große Mehrheit) sehen die Verantwortung; und: Die große Mehrheit, nämlich 83 Prozent, sehen (sieht) die Verantwortung. Dadurch, dass ein Subjektteil in Klammern gesetzt wird, wird deutlich, dass er als bloßer Zusatz zurücktritt. In diesem Fall ist ziemlich deutlich, dass sich der Numerus nach dem ersten Subjektteil richtet, der nicht in Klammern steht. Abgesehen von solchen klaren Fällen, gilt die noch einmal vereinfachendere Faustregel, solche Konstruktionen ganz zu vermeiden. Im Fall der neuen Busse bei den Stadtwerken lässt man z.B. den irrelevanten Zusatz der Gesellschaftsform einfach weg.

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