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Die deutsche Sprache in der Schweiz
Autor:Margrit Kropf
Datum: Fr, 11.07.2003, 09:26

Guten Tag

Darf ich Euch etwas erzählen? Es ist uns Schweizern eigen, alles, was uns selbst betrifft, zu etwas Besonderem zu erklären. Das geht dem übrigen Europa sicher oft auf die Nerven.

Nein, ein übersteigertes Selbstwertgefühl ist nicht der Auslöser, auch wenn es so scheinen mag, im Gegenteil. Wir sind von beinahe allem nur Mitbenutzer, auch was die Sprache betrifft: die Romands orientieren sich an den Franzosen, die Tessiner an Italien, die Deutschschweizer sind – in grösserem Masse als man denken würde und in jeder Hinsicht – nach Deutschland ausgerichtet. Einerseits bewundern wir alles Deutsche, zum anderen fühlen wir uns in einer ständigen Konkurrenzsituation. Überflügeln wir unsere nördlichen Nachbarn mal, wird das genüsslich ausgekostet. Wir freuen uns hämisch, wenn Deutschland nicht Fussballweltmeister wird – und wir sind froh, wenn es ihm gelingt, sich gegen andere Länder durchzusetzen. Wir sonnen uns auch gerne im Wohlwollen des "grossen Bruders".

Als ich noch ein Vorschulkind war, spielten wir "Deutsche", "Franzosen", "Italiener". Wir ahmten den Klang dieser Sprachen nach. Hochdeutsch war für uns genauso eine Fremdsprache, wie die anderen.

Kaum eingeschult, hiess es: Deutsch ist unsere / eure Muttersprache. Wir zweifelten das an. (Ich glaube, ich fragte meine Mutter, ob sie wirklich Deutsch könne; natürlich konnte sie.) Später, als mein Sohn im Primarschulalter war, korrigierte er mich mal empört: "Es heisst doch nicht Merci vielmal, sondern Danke vielmal!" (die Auswirkung des täglichen Fernseh-"Sandmännchen"-Genusses).

Schon seit längerer Zeit führe ich eine Datenbank mit echt Schweizerdeutschen Ausdrücken und Redewendungen, weil sie im Alltag immer weniger gebraucht werden. Vor allem die Ausländer in 2.er Generation kramen ausschliesslich in ihrem Hochdeutsch-Wortschatz, der erst noch dürftig ist.

Im Radio wird jeden Donnerstag eine Sendung ausgestrahlt, wo von einem Germanisten alte schweizerdeutsche Wörter aus allen Mundarten – teils noch im Gebrauch, teils aus der Erinnerung der Hörer an die Kinderzeit – erklärt werden.

Seit ich diese allseits sehr beliebte Sendung verfolge, weiss ich: doch, Deutsch ist unsere Muttersprache!

Jeder noch so Berndeutsch klingende Ausdruck, den wir ausschliesslich für uns in Anspruch nehmen, kommt in irgend einem Dialekt Deutschlands vor oder war im Mittelalter oder noch später im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet, nicht etwa nur in Süddeutschland.

Kennt Ihr z.B. beiten? Das Verb BEITEN war vor gar nicht allzu langer Zeit noch das im ganzen deutschprachigen Raum gebräuchliche Wort für WARTEN. Das letztere wurde kaum verwendet und kam erst nach und nach auf.

'Tschuldigung, weiss nicht, ob solches in dieses Forum gehört. Aber "Deutsch" ist im Augenblick in der Schweiz ein Thema und soll an den Schweizer Schulen in Zukunft an Bedeutung wieder zunehmen, und zwar gleich derart, dass auch im Kindergarten Schriftdeutsch gesprochen werden muss. In meinem industriereichen Wohnkanton (Solothurn) bestehen Primarschulklassen oft bis zu 90 % aus Kindern nicht deutscher Muttersprache! Bei allen Vorteilen, die eine kulturelle Vielfalt bringen mag, behindert dies auch die Einheimischen in der Sprachentwicklung.

Es grüsst Euch: Margrit

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Beiträge zu diesem Thema

Die deutsche Sprache in der Schweiz
Margrit Kropf -- Freitag, 11.7.2003, 09:26
Re: Die deutsche Sprache in der Schweiz
Julian von Heyl -- Freitag, 11.7.2003, 14:32
Re: Die deutsche Sprache in der Schweiz
Harry -- Donnerstag, 17.4.2008, 10:43