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Nachklapp zumutbar?
Autor:Andreas
Datum: So, 26.06.2011, 22:33

> Genau das ist es auch - grundsätzlich übrigens. Nachklappen ist
> für dich immer ein rotes Tuch. ;)

Das kommt auf die Entfernung an. Von Nachklapp redet man in der Regel dann, wenn diese Entfernung als zu groß empfunden wird.

Die Möglichkeit des Nachklapps ist in der Tat eine Eigenheit der deutschen Grammatik (aber sicher nichts, worauf man stolz sein müsste). Ob sie damit in jedem Fall schon als zumutbar gelten darf, wage ich zu bezweifeln. Ich empfinde sie als eine Last, die leider von wenigen erkannt und von noch viel weniger Menschen dann dennoch genial beherrscht wird (etwa Thomas Mann).

Wolf Schneider setzt die Grenze des Zumutbaren bei zwölf Silben an und begründet dies mit den Ergebnissen der empirischen Verständlichkeitsforschung. Ich persönlich halte das für übertrieben, ein bisschen mehr darf es für meinen Geschmack schon mal sein. Ich sage das aber auch als Vertreter des Bildungs- (bzw. Halbbildungs-)Bürgertums, also einer kleinen Elite. Deswegen halte ich deine Einschätzung, das Nachklappen sei „jedem Leser zuzumuten“, für grundverkehrt.

Wie gesagt: Es kommt immer auf die Entfernung an. Und eben auf den Bildungsstand und die damit verbundenen Lesegewohnheiten. Wer die Bildzeitung gewohnt ist, wird aus einem Text nach wenigen Zeilen aussteigen, wenn er auf das sinnstiftende Verb auch nur zehn Silben lang warten muss. Und auf der Skala von BILD bis ZEIT ist noch viel Zwischenraum. Die ZEIT wird der BILD-Leser wahrscheinlich nie in die Hand nehmen, aber sollte er es tun, wird er zumindest an diesem Punkt nicht frustriert: Die allermeisten Schreiber dort verstehen es nämlich, elegant fast jedem Nachklapp aus dem Weg zu gehen. Vielleicht sind sie ja bei Schneider in die Schule gegangen.

Auch viele Große der Literaturgeschichte (Goethe, Schiller, Heine) haben das so gemacht und gezeigt: Das Auseinanderreißen des Prädikats ist zwar eine Möglichkeit der deutschen Grammatik, aber keineswegs ihr Schicksal. Teilweise haben sie dabei Konstruktionen gewagt, die uns heute seltsam anmuten. Als Gegenpol zu dem, was man heute häufig zu lesen bekommt (vorzugsweise in Hausarbeiten von Sozialwissenschaftlern etc., leider aber eben auch in Bewerbungen), können diese Beispiele schon wieder als wegweisend gelten.

Für wegweisend halte ich auch eine natürliche Sprache, wie sie uns in (guter) mündlicher Rede begegnet. Und die kennt überhaupt keinen Nachklapp. Die Leser haben ein Recht darauf, gerne zu lesen, was sie lesen. Die Schreiber könnten ihnen dabei entgegenkommen. Wenn sie gelesen werden wollen.

Mit einer halbherzigen Entschuldigung auf den Lippen für die epische Breite dieses Beitrags grüßt

Andreas

> Sei mal ehrlich: Es gibt doch wohl genug Leute, die bei einem
> Satz mit Prädikatsklammer schon mal kurz auf das Ende des Satzes
> schielen ...? ;)

Das habe ich nicht verstanden.

P.S.: „Liebe kann nicht unkörperlich sein in der äußersten Frömmigkeit“ (Thomas Mann).

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