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nervenzerrend versus nervenzehrend

Die Nerven – im Sinne der nervlichen Konstitution – müssen recht oft bildlich herhalten: Sie können aus Stahl sein oder wie Drahtseile, sie sind zum Zerreißen gespannt, sie liegen bloß oder blank. Aber ist das, was einem auf die Nerven geht, nervenzehrend oder doch nervenzerrend?

Um die Frage gleich zu beantworten: Der »Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache« kennt unzählige adjektivische Verbindungen mit dem Grundwort »Nerven«: nervenaufpeitschend, nervenaufreibend, nervenzerfetzend, -zermürbend und -zerreibend – und eben auch nervenzehrend. Hingegen findet man nervenzerrend nicht. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es das Wort nicht gibt. Es ist eine zulässige Konstruktion, da bildlich etwas an den Nerven zehren (im Sinne von »schwächen«), aber auch an den Nerven zerren kann.

Gibt es einen Bedeutungsunterschied? Man kann nervenzehrend oder nervenzerrend weitgehend synonym gebrauchen, jedoch scheint die Wendung »an den Nerven zehren« noch etwas stärker auf Dinge abzuzielen, die einem langsam, schleichend, über einen längeren Zeitraum zusetzen. Im Duden findet sich etwa als Anwendungsbeispiel: »der Lärm, die Ungewissheit, die ständigen Aufregungen zehrten an seinen Nerven«. Hingegen zielt »an den Nerven zerren« eher auf Situatives ab.

Julian von Heyl am 16.09.13
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Kommentare

1  Martin B.

Lieber Herr von Heyl,

ist nicht "zehrend" die ursprüngliche Verwendung und "zerrend" vielmehr aus dem (zunehmend Usus gewordenen) Missverständnis entstanden?

Geschrieben von Martin B. am 16.09.13 18:58

2  Julian von Heyl

Dass beide Ausdrücke ihre Berechtigung haben, schließt sicher nicht aus, dass sie auch durcheinandergeworfen werden können. Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade jüngere Sprachnutzer mit "-zehrend" wenig anzufangen wissen.

Geschrieben von Julian von Heyl am 16.09.13 19:45

3  Anke Schild

Aus: Duden online, Lemma "zerren"

(aus Widerstreben, Unmut, Ungeduld o. Ä.) heftig reißen, ruckartig ziehen
Beispiele
er zerrte an der Glocke, der Kordel
der Hund zerrt an der Leine
: der Lärm zerrt an meinen Nerven (ist eine große Belastung für meine Nerven)

Geschrieben von Anke Schild am 14.02.17 07:23

4  Michael Herbert Hans Schuster

Es geschieht leider zunehmend oft, daß klassische Redewendungen verballhornt werden durch eher "im klassischen Sinne" ungebildete (und eher jüngere) Menschen. Ich verfolge das in Zeitungen und bei Rundfunk-Sprech. Das geht bis zu "überspannt den Boden" (sic!) beim DLF. Es besteht nach wie vor eine gewisse Grundkenntnis über Sprichwörter und Redewendungen/-nsarten, jedoch mißlingt das Bild in der Anwendung zunehmend häufiger, wird schief oder konterkariert die beabsichtigte Aussage gar. Mitunter konzediert sogar der Duden nach Jahren allgemeiner falscher Verwendung die Möglichkeit, das ehedem Falsche könne nun ebenso gelten wie das schon immer Richtige. Maßgeblich für Deutschland bleibt hier der Duden Bd. 11 "Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten". Ihn öfter zu frequentieren erspart sensibleren Zeitgenossen Tritte in die Magengegend. Und natürlich ist die Verwendung von Redewendungen und Floskeln wichtig, denn eine Sprache besteht eben nicht aus einzelnen Wörtern, wie richtig sie auch dekliniert oder konjugiert sein mögen. Wer Spaß an Verballhornungen hat, besorge sich Julius Stettenheim: Wippchen charmante Scharmützel", wo man "Komprimate" wie "Das schlug dem Fass die Krone ins Gesicht" findet oder über einen General, der "auf allen Schlachtfeldern der Welt zu siegen oder zu sterben verstand".
Viel Spass.

Geschrieben von Michael Herbert Hans Schuster am 13.04.23 14:00

5  Ulli

das ist alles einer Rechtschreibschwäche jüngerer Leute geschuldet, denn ehemals hieß es "gezehrt". Das passiert öfters mal, dass ein oft falsch geschriebenes Wort als richtig in die Rechtschreibung eingeht. Hier ist es zufällig eine fast identische Bedeutung

Geschrieben von Ulli am 29.03.24 13:38

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